Komplexometrische Titration

Eine komplexometrische Titration ist eine Titration, die unter Bildung eines Komplexes abläuft. Alternativ werden solche Titrationen daher auch als Komplexbildungstitrationen bezeichnet.

Schwarzenbach hat außerdem den Begriff der Komplexometrie eingeführt. Die Komplexometrie umfasst Methoden, bei denen Aminopolycarbonsäuren (Komplexone) für Maßlösungen verwendet werden.

Zur Erkennung des Endpunkts komplexometrischer Titrationen werden oftmals Metallindikatoren eingesetzt. Ein Beispiel ist die komplexometrische Titration von Calcium mit EDTA, für die Erio T verwendet werden kann.

Komplexometrische Titrationen können stattdessen aber auch als photometrische Titration oder potentiometrische Titration durchgeführt werden.

Grundlagen der Komplexbildung

Definition und Bezeichnung von Komplexen

Ein Komplex ist definiert als ein zusammengesetztes Ion oder Molekül, das entsteht, wenn sich einfache, selbstständige und unabhängig voneinander existenzfähige Moleküle oder Ionen vereinen. Komplexe können neutral, positiv oder negativ geladen sein.

Die Formeln von Komplexen werden üblicherweise in eckigen Klammern geschrieben, zum Beispiel:

Ni + 4 CO ↔ [Ni(CO)4]

Ag+ + 2 NH3 ↔ [Ag(NH3)2]+

Fe2+ + 6 CN ↔ [Fe(CN)6]4-

Neutrale Komplexe und Verbindungen, in denen ionische Komplexe enthalten sind, werden als Komplexverbindungen oder auch Koordinationsverbindungen bezeichnet.

Komplexe Teilchen zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch in Lösung stabil sind und nur wenig dissoziieren.

Außerdem bleiben analytische Reaktionen, die für bestimmte Ionen charakteristisch sind, aus, wenn die Ionen in einem Komplex gebunden sind. Man spricht dann auch von einer Maskierung der Ionen.

Aufbau von Komplexen

Prinzipiell besteht ein Komplex aus einem Zentralatom oder Zentralion in der Mitte, um das regelmäßig Liganden angeordnet sind. Häufiger sind Zentralionen.

Bei den Liganden handelt es sich meistens um Anionen wie Cl, OH oder CN oder neutrale Moleküle wie NH3 oder CO. Sie werden durch koordinative Donor-Akzeptor-Bindungen an das Zentralatom gebunden und liefern die bindenden Elektronenpaare. Das Zentralatom fungiert dagegen als reiner Akzeptor.

Komplexe unterscheiden sich in der Anzahl der koordinativen Bindungen, auch Koordinationszahl genannt. Koordinationszahlen können gerade oder ungerade sein, wobei die Koordinationszahlen 4 und 6 am weitesten verbreitet sind.

Je nach Koordinationszahl haben Komplexe eine bestimmte Molekülgeometrie. Die Koordinationszahl 4 entspricht beispielsweise einer tetraedrischen oder quadratischen Anordnung der Liganden um das Zentralatom während die Koordinationszahl 6 eine geometrische Anordnung in Form eines Oktaeders bewirkt. Dieser ist oftmals verzerrt, sodass die Plätze der Liganden nicht gleichwertig sind.

Liganden können je nach Struktur eine, zwei oder mehrere koordinative Bindungen mit dem Zentralatom eingehen und werden dementsprechend einzähnig, zweizähnig oder mehrzähnig genannt.

Mehrzähnige Liganden, die an das gleiche Zentralatom binden, führen zur Bildung von Ringen und die entstehenden Komplexe werden als Chelate oder Chelatkomplexe bezeichnet.

Damit Liganden als Chelatbildner fungieren können, müssen sie zwei oder mehr Donoratome aufweisen und die Bildung eines spannungsfreien Rings ermöglichen. Bei diesen Ringen handelt es sich üblicherweise um Fünf- oder Sechsringe.

Außerdem können auch Komplexe mit zwei oder mehr Zentralatomen, die durch Brückenliganden verbunden sind, auftreten. Solche Komplexe werden zweikernig oder mehrkernig genannt.

Stabilitätskonstante von Komplexen

Wenn Moleküle oder Ionen sich zu einem Komplex vereinen, liegt eine Gleichgewichtsreaktion vor und man kann das Massenwirkungsgesetz anwenden. Beispielsweise bei der Bildung von Hexacyanoferrat(II):

Fe2+ + 6 CN ↔ [Fe(CN)6]4-

K = c([Fe(CN)6]4-)/(c(Fe2+) ∙ c6(CN))

Die Konstante K des Gleichgewichts ist die Komplexbildungskonstante beziehungsweise Stabilitätskonstante.

Beim Vergleich zweier Komplexe mit gleicher Koordinationszahl ist der Komplex mit der größeren Stabilitätskonstante der stabilere Komplex.

Eine besonders hohe Stabilität und damit große K-Werte weisen Chelatkomplexe auf.

Grundlagen komplexometrischer Titrationen

Grundsätzlich ist eine Komplexbildungsreaktion nur dann für eine komplexometrische Titration geeignet, wenn die Bildung von Zwischenstufen verhindert werden kann.

Dies gelingt insbesondere dann, wenn der verwendete Ligand ein Chelatbildner ist und einen Chelatkomplex mit dem zu analysierenden Metallion bilden kann. Solche Komplexe sind besonders beständig, was als Chelateffekt bezeichnet wird.

Die mit Chelatbildnern durchgeführten Analysen werden auch als chelatometrische Titrationen bezeichnet oder man spricht von Chelatometrie.

Für komplexometrische Titrationen geeignete Chelatbildner sind insbesondere Aminopolycarbonsäuren. Sie sind gut löslich, reagieren ausreichend schnell mit dem zu analysierenden Ion und bilden leicht lösliche stabile Chelatkomplexe.

Beispiele für solche Aminopolycarbonsäuren sind:

  • Nitrilotriessigsäure (NTE)
  • Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA)
  • Diethylentriaminpentaessigsäure (DTPA)
  • 1,2-Cyclohexandiamintetraessigsäure (CDTA)

Diese im Handel erhältlichen Verbindungen bilden mit mehrwertigen Kationen Komplexe im 1:1-Verhältnis.

Bei der Titration mit Chelatbildnern entstehen freie Protonen, so dass die zu analysierenden Metallionen manchmal auch durch eine Säure-Base-Titration bestimmt werden können:

Me2+ + H2Y2- ↔ MeY2- + 2 H+

Außerdem ist anzumerken, dass Aminopolycarbonsäuren keine spezifischen Reagenzien sind und mit diversen Metallionen Komplexe bilden.

Metall-EDTA-Komplexe

Besonders verbreitet sind chelatometrische Titrationen mit EDTA als Maßlösung.

EDTA verfügt über sechs koordinativ wirkende Atome (2 N- und 4 O-Atome) und bildet mit Metallionen, deren Ladungszahl mindestens +2 beträgt, sehr stabile oktaedrische Chelatkomplexe.

Bestimmungen mittels komplexometrischer Titration

Bestimmung von Magnesium

Zur Bestimmung von Magnesiumionen kann die alkalische Probelösung direkt mit EDTA-Lösung titriert werden.

Ein geeigneter Metallindikator ist Erio T, das bei dieser Titration einen scharfen Farbumschlag bewirkt.

Voraussetzung dafür ist, dass mit einem Ammoniak-Ammoniumchlorid-Puffer gearbeitet und bei einem pH-Wert von 10 titriert wird.

Die übrigen Erdalkalimetallionen müssen vor der Bestimmung mit Ammoniumcarbonatlösung gefällt werden, um sie nicht mitzubestimmen.

Auch andere Metallionen können die Bestimmung stören und müssen daher entweder maskiert oder entfernt werden.

Bestimmung von Calcium

Auch Calcium kann mit EDTA-Maßlösung direkt titriert werden, als Metallindikatoren eignen sich bei einem pH-Wert von über 12 Murexid oder Calconcarbonsäure.

Dabei ist wiederum zu beachten, dass die Bestimmung durch verschiedene Kationen gestört wird, die folglich entfernt werden müssen.

Eine direkte Titration von Calcium mit Erio T als Metallindikator ist aufgrund des schleppenden Farbumschlags nicht möglich, allerdings kann eine Substitutionstitration durchgeführt werden.

Zu der zu bestimmenden Calciumlösung wird dabei eine Lösung gegeben, die den Mg-EDTA-Komplex enthält. Da Calcium mit EDTA einen stabileren Komplex bildet als Magnesium, wird dieses wie folgt verdrängt:

[MgY]2- + Ca2+ ↔ [CaY]2- + Mg2+

Der Endpunkt kann dann wie bei der Bestimmung von Magnesium angezeigt werden.

Bestimmung der Wasserhärte

Die Wasserhärte gibt an, wieviel Calcium- und Magnesiumsalze in einem Wasser gelöst sind.

Diese Salze müssen bei vielen industriellen Anwendungen entfernt werden, damit sie sich nicht teilweise absetzen und zum Beispiel Rohrleitungen verstopfen.

Die beim Kochen ausfallenden Calcium- und Magnesiumhydrogencarbonate ergeben zusammen die temporäre Härte, wohingegen die in Lösung bleibenden Salze die permanente Härte bilden.

Nach der Ausfällung, Entfernung oder Maskierung eventuell vorhandener Störionen wird zur titrimetrischen Bestimmung der Wasserhärte mit EDTA-Maßlösung titriert.

Bestimmung von Zink und Cadmium

Zur komplexometrischen Bestimmung von Zink und Cadmium wird die alkalische und gepufferte Probelösung bei einem pH-Wert von 10 titriert. Als Metallindikator dient dabei Erio T.

Auch bei dieser Bestimmung gibt es zahlreiche störende Metallionen, die vor der Titration abgetrennt oder maskiert werden müssen.

Da der Farbumschlag sehr scharf ist, können auch Mikro- und Ultramikrobestimmungen durchgeführt werden. Außerdem können sehr reines Zink oder Zinkoxid auch als Urtitersubstanzen für EDTA-Maßlösungen verwendet werden.

Bestimmung von Kupfer

Kupfer kann in einer schwach sauren, gepufferten Probelösung mit EDTA-Maßlösung titriert werden.

Ein für diese Bestimmung geeigneter Metallindikator ist PAN.

Bestimmung von Aluminium

Zur Bestimmung von Aluminium wird die Probelösung zunächst mit einem Überschuss an EDTA-Lösung versetzt.

Anschließend folgt eine Rücktitration mit Zinksulfat- oder Bleinitratmaßlösung.

Ein für diese Analyse gut geeigneter Metallindikator ist Xylenolorange.

Bestimmung von Bismut

In relativ sauren Lösungen kann Bismut nahezu selektiv direkt titriert werden, allerdings stören Chlorid-, Bromid- und Iodidionen.

Als Metallindikator gut geeignet ist erneut Xylenolorange.

Bestimmung von Eisen

Aufgrund der hohen Stabilität des Eisen(III)-EDTA-Komplexes können Eisen(III)-Ionen bei einem pH-Wert von ca. 2,5 bestimmt werden.

Dabei stören Antimon und Bismut, die im Gegensatz zu zweiwertigen Ionen sowie Al3+ und Cr3+ mit erfasst werden.

Für diese Bestimmung geeignete Metallindikatoren sind beispielsweise Tiron und Sulfosalicylsäure.

Bestimmung von Phosphat

Die komplexometrische Bestimmung von Phosphat erfolgt indirekt, indem dieses zunächst als Mg(NH4)PO4 ∙ 6 H2O ausgefällt wird.

Nach dem Waschen und Filtrieren wird der Niederschlag in HCl gelöst und ein Überschuss EDTA-Lösung zugegeben.

Nach der Einstellung eines pH-Werts von ca. 10 wird dann mit Magnesiumchloridlösung zurücktitriert.

Störionen können vor dem Fällen maskiert oder entfernt werden.

Bestimmung von Sulfat

Zur Bestimmung von Sulfat eignet sich eine Rücktitration unter Verwendung von DTPA als Maßlösung und Erio T als Metallindikator.

Nach dem Ausfällen der Sulfationen mit Bariumchloridlösung werden die Bariumionen zurücktitriert.

Um Störungen durch mehrwertige Kationen zu vermeiden, müssen diese vor der Bestimmung entfernt werden.

Carbamatometrische Titrationen

Carbamatometrische Titrationen eignen sich insbesondere zur Bestimmung von Kupfer, Zink, Cadmium, Quecksilber und Blei.

Dabei wird eine Maßlösung mit dem Diethyldithiocarbamat(DDTC)-Anion verwendet, das mit verschiedenen Metallen äußerst stabile Komplexe bildet.

Diese Komplexe werden bei niedrigen pH-Werten zerstört, so dass ein pH-Wert von 9 bis 10 eingestellt werden sollte.

Ein üblicher Metallindikator für carbamatometrische Titrationen ist Dithizon.

Komplexometrische Titration in der pharmazeutischen Analytik

Auch in der pharmazeutischen Analytik sind komplexometrische Titrationen von Bedeutung. Aufgrund der regulatorischen Anforderungen werden diese Titrationen üblicherweise als potentiometrische Titrationen durchgeführt.

Besonders relevant sind Edetat(Y4-)-Titrationen unter Verwendung einer Hg2+/Hg-Elektrode. Falls der HgY2--Komplex stabiler ist als der Edetat-Komplex des zu analysierenden Kations, wird der Probenlösung vor der Titration eine geringe Menge HgY2--Komplex zugesetzt. Sollte der HgY2--Komplex weniger stabil sein, muss Hg2+ zugesetzt werden. In beiden Szenarien ist ein scharfer Potentialsprung zu beobachten, sobald ein Überschuss an Y4--Ionen vorliegt.

Ein Beispiel für eine in der pharmazeutischen Analytik relevante komplexometrische Titration ist die Analyse von Deferoxaminmesilat.

Weiterführende Quellen

Jander, G. / Jahr, K. F. (2017): Maßanalyse – Titrationen mit chemischen und physikalischen Indikationen, 19. Auflage, Berlin / Boston

Rücker, G. / Neugebauer, M. / Willems, G. (2013): Instrumentelle pharmazeutische Analytik, 5. Auflage, Stuttgart